Arzneimittelforschung – Nichts an uns ohne uns!

Fremdnützige Arzneimittelforschung an nicht mehr einwilligungsfähigen Erwachsenen soll zukünftig dann erlaubt sein, wenn die Betroffenen in einer Patientenverfügung ausdrücklich Forschungen zugestimmt haben. Andreas Lob-Hüdepohl, Professor für Theologische Ethik, befürchtet, dass dies Vorboten für weitere Lockerungen sein könnten.

Keiner hat das Recht, medizinisch ohne uns über uns zu entscheiden. Dieses Selbstbestimmungsrecht gilt auch für alle Studien, in denen mit und an Menschen geforscht wird – egal, ob mit oder ohne körperliche, geistige oder seelische Beeinträchtigung: “Nichts an uns ohne uns und unsere Zustimmung!”

Damit kein Missverständnis entsteht: Forschung an Menschen (“Humanexperimente”) ist unerlässlich. Sonst wären viele Verbesserungen in der Medizin unmöglich. Daher wird schon heute auch an und mit demenziell erkrankten Menschen geforscht – unter Beachtung der üblichen ethischen Standards. Viele geben die erforderliche Einwilligung, nachdem sie ausführlich von den Forschern informiert wurden und sich gegebenenfalls mit anderen über Chancen und Risiken beraten haben. Sie willigen sogar ein, wenn sie keinen eigenen Nutzen erwarten, sondern – wenn überhaupt – nur andere davon profitieren (fremdnützige Forschung). Aber: Sie selbst entscheiden.

Manche Personengruppen können ihre Einwilligung nicht (mehr) geben. Auch sie haben ein Recht auf Verbesserungen ihrer Lebenslage. Auch sie dürfen nicht abgehängt werden. Und auch sie dürfen nach der seit langem geltenden Rechtslage in Forschungsvorhaben einbezogen werden. Einzige Einschränkung: Die Forschung muss für sie unmittelbaren Nutzen haben können. Das schützt sie davor, ohne ihre Einwilligung für fremden Nutzen instrumentalisiert zu werden. Natürlich: Auch eigennützige Forschungen bleiben hier ohne die Einwilligung der Probanden. Das ist nicht ganz unproblematisch. Aber hier ist ein Vergleich zu Heilversuchen zulässig. Denn auch dort versucht man, durch eine bislang nicht erprobte Therapie unmittelbar für den Patienten Verbesserung zu bewirken.

Ich befürchte, dies sind Vorboten für eventuelle weitere Lockerungen

Der Deutsche Bundestag hat kürzlich eine Gesetzesänderung beschlossen, die für fremdnützige Forschung an nicht mehr einwilligungsfähigen Erwachsenen einen Kompromiss vorsieht. Sie ist zukünftig dann erlaubt, wenn die Betroffenen vorab im Rahmen einer Patientenverfügung ausdrücklich Forschungen zugestimmt haben. Allerdings ist dies ein fauler Kompromiss. Denn vorausverfügen können sie nur ihr allgemeines Ja. Erforderlich ist aber die informierte Zustimmung zu einem konkreten Vorhaben, dessen Details zum Zeitpunkt der Vorausverfügung naturgemäß niemals bekannt sein können. Diese strikten gesetzlichen Vorgaben gelten aus guten Gründen eigentlich für alle.

Warum wird das Schutzniveau für nicht einwilligungsfähige Erwachsene nun derart abgesenkt? Ich befürchte, dies sind Vorboten für eine noch weitere Lockerung – was natürlich von allen Befürwortern der Neuregelung bestritten wird: beispielsweise für die Zulassung fremdnütziger Forschung an Menschen mit schwerer geistiger Beeinträchtigung, die niemals selbst einwilligungsfähig sind. Deshalb umso stärker: “Nichts an uns ohne uns und unsere Zustimmung!”

Autor/in: Prof. Dr. Andreas Lob-Hüdepohl
Quelle: Ausgabe 21/2016
https://www.caritas.de/neue-caritas/kommentare/nichts-an-uns-ohne-uns